Disparitäten von Slavoj Žižek

Fast 500 Seiten voll mit Philosophie zwischen Hegel und Hoffnung.

Der Autor Slavoj Žižek beginnt bei Hegel und erarbeitet sich Sätze wie diesen: “Die Ungleichheit zwischen Subjekt und Substanz ist gleichzeitig die Ungleichheit der Substanz mit sich selbst – oder, um es mit Lacan zu sagen, Ungleichheit heißt, dass der Mangel im Subjekt gleichzeitig der Mangel im Anderen ist.” Von hier aus kommt er auf die Entfremdung zu sprechen und untersucht dann Aspekte der Disparität.

Die Sprache wechselt in dem Buch von höchster Fachsprache runter bis zur Allgemeinverständlichkeit bei praktischen menschlichen Fragen: “Sexualität wird heute auf die Lust an Partialobjekten reduziert… Ein Beispiel, das ich oft anführe, ist die Stamina-Trainingseinheit – ein Masturbationsgerät und Gegenstück zum guten alten Vibrator, das wie eine Taschenlampe aussieht… Der erigierte Penis wird oben in die Öffnung eingeführt, und nachdem man es eingeschaltet hat, vibriert das Objekt bis zur Befriedigung… Was man sich beim Kauf des Geräs zulegt, ist ein bloßes Partialobjekt… Wie sollen wir mit dieser schönen neuen Welt zurechtkommen, die das Grundversprechen unseres intimen Lebens unterläuft?”

So konkret wird die Philosophie im Alltag in seinem Buch. Wer sich in das Buch hineinwagt, der bemerkt, wieŽižek immer wieder Hegel aufgreift und dann andere Autoren dagegensetzt wie Freud, Habermas, Lacan und andere große Namen.

Sicherlich kennen Sie aus dem Internet die Fehlermeldung 404 für einen toten Link.

Und in dem Buch wird ausgerechnet auf Seite 404 dann über den Tod gesprochen, wahrscheinlich ein schöner Zufall.

Dort zitiert Žižek Jaques de Palice mit den Worten: “Eine Viertelstunde vor seinem Tod war er noch am Leben. Dies ist durchaus nicht absurd oder naiv. Es bedeutet, dass er eine Viertelstunde vor dem Tod nicht das war, was Heidegger unter eine Viertelstunde vor dem Tod versteht – er war kein Sein zum Tod von Geburt an.”

Žižek beschäftigt sich mit Heidegger, dem Holocaust, dem Kapitalismus, er kommt auf all das, was uns umgibt in unserem Leben und versucht dies am roten Faden der Disparitäten zu durchdenken.

Er endet mit dem Satz: “Wir müssen der Vorstellung, dass sich mit extremen Erfahrungen etwas Emanzipatorisches verbindet, dass sie uns die Augen für die letzte Wahrheit einer Situation öffnen, eine Absage erteilen. Dies ist vielleicht die niederdrückendste Lektion, die Schrecken und Leid bereithalten.”

Damit steckt er nicht nur mitten in der Geschichtsphilosophie sondern auch in der aktuellen Politik.  So praktisch kann Philosophie sein.

Es ist ein anspruchsvolles und dichtes Buch, das auch gut als Materialsammlung dienen kann.

Mir persönlich gefällt auch der Wechsel des Sprachniveaus in dem Buch, je nach Thema. Wissenschaftliche Sprache mit Fachbegriffen bildet den Rahmen aber in der konkreten Anwendung gelingt es Žižek dann, Philosophie sehr konkret werden zu lassen.

Das Buch ist in der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen.

Žižek, Slavoj
Disparitäten

ISBN 978-3-534-26971-6

 

About Michael Mahlke

Der Autor hat Jura in Köln und Sozialwissenschaften, Geschichte und Pädagogik in Wuppertal studiert. Er war u.a. Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und ehrenamtlicher Richter. Er coachte viele Jahre Menschen, Schwerpunkte waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er arbeitete als Dokumentarfotograf und Publizist, offline und online, analog und digital.

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