Ford-Aktion von Klaus Peter Wittemann

Wie Wissenschaft und Wirklichkeit zusammenkommen können, zeigt das kompetente Buch von Klaus Peter Wittemann. Gerade die Sozialwissenschaften erforschen Dinge, die die Menschen selbst betreffen in ihren sozialen Zusammenhängen.

So ist es natürlich sehr interessant, sich die Frage zu stellen, welche Schwierigkeiten gab es, als Forschungsergebnisse aus den Sozialwissenschaften in den Gewerkschaften – und hier in der IG Metall – umgesetzt werden sollten.

“In einer ersten Erschließung des Feldes rückte dann ein Fall von Verwendung sozialwissenschaftlicher Ergebnisse zu Beginn der 60er Jahre in den Mittelpunkt des Interesses. Träger dieser Verwendung war eine Gruppe von Gewerkschaftern in der IG Metall um Hans Matthöfer, die mit Soziologen zusammenarbeitete; ein Resultat dieser Zusammenarbeit war die Ford-Aktion.”

Wittemann erläutert dann ausführlich Probleme der Verwendungsforschung, denn “praktische Akteure werden wissenschaftliches Wissen nur dann als Leistung nutzen und anwenden, wenn dieses Wissen auch tatsächlich zur Lösung ihrer Probleme beiträgt…”

So wissenschaftlich das Ganze dann auch aufgebaut ist, so interessant ist es zu sehen, wie die Person von Hans Matthöfer und sein Handeln letztlich im Mittelpunkt stehen und mein Eindruck ist, dass ohne ihn dies alles so nicht möglich gewesen wäre. Es kam eben auf die Person an. Doch Hans Matthöfer war nicht allein.

Wie war nun zusammengefasst die Ausgangslage?

Es ging natürlich um die Frage, wie man Mitglieder gewinnen und Mitglieder halten kann. Aber darüber hinaus war die Macht des Faktischen stärker geworden: “Insbesondere die gewerkschaftspolitisch höchst relevante Gruppe der Betriebsräte, die sich contra legem zu einem surrogat gewerkschaftlicher Betriebsorganisation entwickelt hatten, war in aller Regel dem Status quo verhaftet, dessen Resultat sie waren.” (47)

Und so kam, was kommen mußte: “Der unübersehbare, wenn auch keineswegs zwingende Problemdruck in Fragen der Mitgliederentwicklung und der innerorganisatorischen Rolle der Betriebsratsfürsten führt zu einer unbestimmten Bereitschaft gerade in der IG Metall-Spitze, neben der Effektivierung eher organisationstechnischer Instrumente auch inhaltlich neue Wege zu suchen. Diese Situation eröffnete der Gruppierung um Matthöfer überhaupt erst die Chance, ein neues Konzept im politischen Umfeld der Organisation zu entwickeln, zu konkretisieren und seine Verwirklichung einzuleiten.” (48)

Nach Oskar Negt ging es Matthöfer darum, die intellektuellen Potenzen außerhalb der Gewerkshaften für die Bildungsarbeit zu mobilisieren (73). Wittemann schildert dann ausführlich die Entwicklung und die Inhalte der Vorstellungen von Hans Matthöfer, der quasi unter dem persönlichen Schutz von Otto Brenner stand.

Dann folgt die Ford-Aktion. Der Organisationsgrad bei Ford lag im Jahr 1960 ungefähr bei 5 Prozent. An dieser Stelle wird auch der Konflikt zwischen Verwaltungsstelle und Vorstand deutlich. Wie immer geht es um Geld und Personal.

Um dann bei Ford weiterzukommen wurde zuguterletzt eine Umfrage bei 100 Ford-Arbeitern zu Hause durchgeführt, die erste systematische Ergebnisse brachte als Grundlage für die weitere Arbeit.

Dabei kristallisierten sich für die Praxis u.a. der Aufbau eines Netzes von Vertrauensleuten heraus, die die Arbeiter direkt ansprechen auf einen Beitritt und eine sichtbare Kommunikation durch eine Betriebszeitung, die TATSACHEN.

Ende 1963 lag der Organisationsgrad bei 19,9 Prozent. Wittemann zeigt in diesem Zusammenhang die Reibungsverluste zwischen Betriebsrat, Hans Matthöfer und seinem Team, dem Vorstand und der Verwaltungsstelle ebenso auf wie die Voraussetzungen für den Erfolg: u.a. eine hohe Fluktuation bei Ford, viele betriebliche Probleme, die thematisiert wurden und viele persönliche Kontakte.

Und geworben wurde zusätzlich mit Briefen und persönlichen Hausbesuchen und dies offenkundig erfolgreich.

Um dann noch einmal Problemlösung und Gewerkschaftskompetenz zu verbinden, wurde eine neue Umfrage unter den Mitgliedern durchgeführt, um herauszufinden, was besonders unter den Nägeln brennt.

Die Arbeitsbedingungen wie z.B. das Vorgesetztenverhalten waren so sichtbar in den Ergebnissen der Umfrage, dass man sich entschloss, eine Urabstimmung durchzuführen, um u.a. dafür eine tarifliche Regelung zu erhalten. Doch Ford war mittlerweile Mitglied im Arbeitgeberverband.

Das Arbeitsgericht verbot eine Tarifbewegung und so endete letztlich auch die Aktion bei Ford.

Heute wäre wohl das Thema Streiken für eine Absicherung gegen “Burnout” ein ähnlich heikles Thema oder die Frage der digitalen Erreichbarkeit.

Ich habe hier versucht, den Hauptgang der Ereignisse zu skizzieren. Das Buch ist natürlich vielschichtiger und detaillierter und arbeitet immer wieder das Verhältnis von Wissenschaft (Industriesoziologie) und Praxis beim Ablauf der Ereignisse heraus.

Dieses Buch zeigt daher nicht nur wissenschaftliche Zusammenhänge auf sondern zugleich auch die Probleme einer angewandten Wissenschaft.

Aber das ist nicht alles. Irgendwie ist das Buch auch eine Biografie von Hans Matthöfer und es ist eine Geschichte der IG Metall, die in großen Bereichen bis heute aktuell zu sein scheint.

Denn das Thematisieren betrieblicher Probleme als Lösungsansatz zur Gewinnung von Akzeptanz für gewerkschaftliches Handeln und zur Gewinnung neuer Mitglieder ist offenkundig als Strategie zurückgekehrt.

Aber die Zukunftsfrage ist ungelöst. Und die spielt sich bei Beschäftigtengruppen ab, für die Gewerkschaften aktuell kaum Problemlöser sind und die sehr oft Probleme habe, die mit den aktuellen gewerkschaftlichen Angeboten nicht korrelieren. Aber das wäre ein Thema für ein neues Buch.

Daher lohnt sich das Buch doppelt. Denn es ist ein Spiegel für alle, die sich heute mit der IG Metall beschäftigen wollen und die wissen wollen, wie die IG Metall strukturiert war (und zum Teil ist) und es ist ein sehr gutes Beispiel für die Frage, welche Rolle Sozialwissenschaften spielen können bei der Anwendung von Wissen für Veränderungen in Gewerkschaften und wo die Grenzen sind.

Klaus Peter Wittemann

Ford-Aktion

ISBN 3-89472-108-1

Schüren-Verlag

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About Michael Mahlke

Der Autor hat vor, während und nach dem Studium als Dozent in der Erwachsenenbildung gearbeitet, u.a. für die Bundeswehr, die Arbeitsagentur und das Gesamtdeutsche Institut. Er war Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und Berater für die Umsetzung von Arbeit und Alter in Arbeitsprozessen. Er organisierte betriebliche Umstrukturierungen, leitete Konferenzen, schrieb Reden und coachte bzw. begleitete viele Jahre Menschen und Gruppen. Schwerpunkte dabei waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er ist Publizist, Autor diverser Bücher, Fachvorträge und Artikel und seit ca. zehn Jahren in den Online-Medien unterwegs, erst mit Texten und nach Studien über Cartier-Bresson auch mit Fotos und diversen multimedialen Reportagen.

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