Erinnerungen eines Amerika-Auswanderers an das Frühindustrielle Wuppertal lautet der Untertitel.
Ich habe dieses Buch schon während meines Studiums in Wuppertal gelesen. Damals dachte ich, daß es ein überzeugendes Dokument gegen Ausbeutung und Armut ist und etwas bei den Menschen bewegt.
Ich merkte damals noch nicht, daß ich mich selbst darin sah, weil ich auch aus sehr armen Verhältnissen kam und glaubte, daß die Armut eine Kraft für solidarisches Miteinander sei.
Ecce Homo!
Wie naiv ich doch war!
Mittlerweile bin ich gut 40 Jahre älter und habe dieses Buch noch einmal gekauft. Ich hatte es völlig vergessen aber es schlummerte irgendwie in meinem Hinterkopf.
Mit dem, was ich jetzt bin, sehe ich dieses Buch anders – aber immer noch als wichtiges Dokument.
Denn heute sehe ich nicht nur die Botschaft von Armut und Abstieg trotz Fleiß und Leistung, sondern ich sehe das, was Arthur Schopenhauer immer sah: den Charakter der Menschen, der immer gleich bleibt, egal ob arm oder reich.
Und dieser Charakter ist je nach Umständen und Möglichkeiten zu allem fähig, positiv und negativ.
Insofern spiegelt dieses Buch auch wieder, was ich selbst erlebt habe, wie ich scheiterte und dennoch weiterschritt.
Damit will ich dieses Buch aber nicht nur philosophisch einordnen.
Ich möchte auch aus dem Vorwort zitieren, das eine sehr aufmerksame Einordnung des Heimatgeschichtlers Georg Gustav Löns enthält:
„DIESE STADT
In dieser Stadt, die heute Wuppertal heißt, leben, arbeiten und wohnen über vierhunderttausend Menschen. Sie verdankt ihre Entstehung keinem Großen dieser Welt, kein Flirst schuf sie als Festung, Residenz oder Lustschloss, kein Bischof baute seinen Sitz und den dazugehörigen Dom in unserem Bergwaldgebiet.
Auch liegt sie nicht im Mittelpunkt bedeutender Straßen, auf denen Reisende in ihre berühmten Herbergen gefunden hätten oder einen urzeitalten Handelsplatz mit Zoll und Markt, der Wagen mit kostbaren Gütern angelockt hätte. Kein großer Strom führte in breiten Schiffen die Erzeugnisse fremder Länder und weiter Landschaften, reiche Kaufherren, berühmte Reisende, Wallfahrer und Reliquien zu einem sicheren Hafen mit Kontoren, Gerichten und Festhallen, Kaiserpfalzen und Machthabern des Geldes und des Adels. Nein, diese Stadt gewann alles, was sie besitzt, was sie ist und vermag, mühselig, gegen alle Ungunst von Boden, Lage und Klima. Durch harte Arbeit, Zähigkeit und wachen Verstand haben Bauern die Siedelplätze den Wäldern, allen ungebärdigen Wasserläufen, Fluss, Bächen, Siepen, Heiden und Sumpfauen abgerungen. So darf die Bürgerschaft heute sagen, es war ein erfolgreicher, aber auch ein harter Weg vom Beginn im Bergurwald bis zum heutigen Tag. Und dieser Weg führte zum Erfolg aller Bewohner, der alten mit der Ausstattung von Höfen, Land und Markanteilen, und der Zuwanderer, der Kötter, der kleinen Leute. Und dass der Weg schwer war, dass es auch Blut und Tränen gekostet hat, das wissen wir heute und aus dem Abstand von Jahrzehnten und Jahrhunderten. So wissen wir auch, dass unsere Stadt-bürgerschaft, ungesegnet von Gunst und großen Herren, ihr Selbstbewusstsein wohl begründen kann. Dazu gehört aber, dass in das Wissen um die ungezählten, ungenannten kleinen Leute. Es ins Bewusstsein aller zu erheben, ist der Auftrag der Verantwortlichen. (1970)“
Es sind diese Sätze “ Kein großer Strom führte in breiten Schiffen die Erzeugnisse fremder Länder und weiter Landschaften, reiche Kaufherren, berühmte Reisende, Wallfahrer und Reliquien zu einem sicheren Hafen mit Kontoren, Gerichten und Festhallen, Kaiserpfalzen und Machthabern des Geldes und des Adels. Nein, diese Stadt gewann alles, was sie besitzt, was sie ist und vermag, mühselig, gegen alle Ungunst von Boden, Lage und Klima“, die mich auf eine Spur bringen, auf meine Spur bringen.
Denn ich wurde am Rand dieses Zentrum in Remscheid auf Ehringhausen in einer Siedlung der Deutschen Edelstahlwerke geboren, die für die Arbeiter der Fabrik entstand wie einige mehr drumherum.
Und ich habe mich mein ganzes Leben gewundert, wieso hier alles so mühselig ist, so viel Arbeit vorherrscht, man beim Spaziergang immer gegen den Berg gehen muß etc.
Jetzt habe ich die Antwort gelesen in dem Text aus dem Buch über das mühselige Leben des Jungen Hermann Enters.
Georg Gustav Löns hat dies so wunderbar auf den Punkt gebracht.
Selbst um Arbeit in Armut mußte man hier kämpfen.
Ich erinnere mich noch an die Zeit als man verlangte, daß Menschen auf Teile ihres Lohnes verzichten, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten.
Und ich bin umso froher, daß ich einen Teil dieser Kämpfe und ihrer Mühen damals dokumentiert habe.
Das hat mich ja auch persönlich verändert und mein Schicksal geformt.
Aber die Geschichte ging ja weiter.
Während ich wieder so naiv war zu glauben, daß der Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit in bessere Politik mündet, wurde das Gegenteil daraus. Wir haben heute parallele Sozialsysteme, wobei die Fleißigen bestraft werden und die Faulen belohnt werden, aus meiner Sicht grob ausgedrückt. (Das Beamtentum ist ein zusätzliches Thema für sich, das ich hier nicht weiter anspreche.)
Die Auswüchse im Sozialstaat zeigen sich für mich darin, daß man alles ohne Eigenleistung erhält, Sozialversicherung, Wohnung, Geld selbst fürs Kinderkriegen. Arbeitnehmer und Rentner müssten entlastet werden und die anderen verpflichtet werden, was für ihren Unterhalt zu tun aus meiner Sicht.
Wenn man diese Gedanken auf die Welt von Hermann Enters ummünzt, dann wäre der Sozialstaat für die fleißigen Eltern und Kinder richtig gewesen, der nicht von selbst kam sondern durch soziale Kämpfe entstand für fleißige Menschen und Staatsbürger.

Heute sind die, die arbeiten, durch Sozialabgaben und Pflichten oft schlechter dran als die, die einfach hierhingekommen sind und nichts tun, weil sie alles haben, was sie zum Leben brauchen inklusive einer Krankenversicherung.
Ich halte dies für den falschen Weg. Es geht nicht um die Abschaffung des Sozialstaates sondern um einen realistischen Ansatz. Nach meinen Lebenserfahrungen müssen Menschen spätestens nach drei Jahren integriert sein durch Pflicht und Aufgaben, also durch Arbeit und Spracherwerb. Danach sollten materielle Leistungen dafür enden.
Aber ich bin auch alt oder älter (je nach Sichtweise) und sehe einige Dinge eben aus meiner Sicht und mit meinen Erfahrungen.
Wenn ich nun diese Gedanken verlasse und zum dokumentarischen Impuls zurückkehre, dann bin ich sehr froh, daß ich dieses Buch noch einmal aus dem historischen Schatten ins Licht holen konnte.
Denn durch diesen historischen Blick kann man auch anders in die Gegenwart schauen.
Übrigens, das Buch gibt es in einer neuen Auflage im Bergischen Verlag.











