Sarah Wagenknecht, Die Selbstgerechten. Mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt

“Linksliberale sind also zweierlei nicht. Sie sind keine linken Liberalen, also Liberale, die sich nicht nur für Freiheit, sondern auch für soziale Verantwortung interessieren. Solche Liberalen gab es lange Zeit in der FDP und es gibt sie heute wahrscheinlich noch häufiger außerhalb der Freidemokraten. Mit dem modernen Linksliberalismus haben sie nichts zu tun. Linksliberale sind aber auch keine liberalen Linken, also Linke, die sich von totalitären und illiberalen Traditionen abgrenzen. Im Gegenteil, dieses Buch ist ein ausdrückliches Plädoyer für eine liberale, tolerante Linke anstelle jener illliberalen Denkströmung, die heute für viele das Label links besetzt.”

Diese Sätze sind meines Erachtens der Schlüssel zu dem Buch von Sarah Wagenknecht. Sie zeigen, daß man hier denken muss.

Es ist ein gutes politisches Buch geworden, denn die besten Texte zeigen, wie es eigentlich ist.

Und das kann Frau Wagenknecht ganz wunderbar.

“Nicht rechts ist es dagegen, auszusprechen, dass Zuwanderer für Lohndumping missbraucht werden, dass es kaum möglich ist, eine Schulklasse zu unterrichten, in der über die Hälfte der Kinder kein Deutsch spricht, oder dass wir auch in Deutschland ein Problem mit dem radikalen Islamismus haben. Ob gewollt oder nicht: Eine Linke, die einen realistischen Umgang mit Problemen als rechts ächtet, spielt der Rechten die Bälle zu.”

Und damit steigt der Leser in ein Buch ein mit ca. 200 Seiten Analyse und ca. 100 Seiten Programm.

Frau Wagenknecht ist stark in der Analyse und legt Widersprüche offen: “Wenn ein Land darauf verzichtet, internationale Finanzinvestoren an der Übernahme von Unternehmen oder der Spekulation mit Wohnungen zu hindern, kann man das Weltoffenheit nennen. Man kann allerdings auch von Schutzlosigkeit sprechen.”

Wenn andere weggucken schaut sie hin: “Dass zwischen dem aufgeklärten Islam von Cordoba, der zu den Wurzeln auch der europäischen Kultur gehört, und dem stockreaktionären Islamismus, der sich heute verbreitet, ähnlich große Welten liegen wie zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Christian-Identity-Bewegung, ist eine Einsicht, die in diese Debatte bisher leider nicht vorgedrungen ist.”

Und auch das Grundeinkommen stutzt sie zurecht: “Die sozialpolitische Forderung, die der linksliberalen Logik am nächsten kommt, ist die nach einem bedingungslosen Grundeinkommen. Es ist kein Zufall, dass diese Forderung auch viele Anhänger im wirtschaftsliberalen Lager hat. Das bedingungslose Grundeinkommen ist der zu Ende gedachte minimalistische Sozialstaat oder besser ausgedrückt: die Abschaffung des Sozialstaats zugunsten einer thatcheristischen Marktgesellschaft mit humanitärer Armenfürsorge.”

Keine leichte Kost! Ich habe diese drei Gedanken gewählt, weil sie meiner Meinung nach exemplarisch zeigen, wie differenziert und wie klar Frau Wagenknecht Begriffe und Themen anpackt und analysiert. Hinter jedem Zitat stecken Seiten voller guter Analysen.

Ich glaube, wer dieses Buch zu Ende gelesen hat, der versteht, was gemeint ist, wenn Verkündungstermine der Politik anstehen und man verstehen will, was gesagt wird.

“Aber noch etwas ist interessant: das frappierende Ungleichgewicht zwischen der Häufigkeit von Forderungen zur Aufnahme von Flüchtlingen etwa aus Lesbos oder Lampedusa und der Zahl linksliberaler Diskussionsbeiträge, die sich mit der Situation in Elendslagern wie Dadaab…(beschäftigen,m.m.) Dass sie die Namen dieser beiden Lager wahrscheinlich noch nie gehört haben, ist ein Resultat dessen, worüber linksliberale Meinungsführer reden – und worüber nicht.”

So schreibt sie auch.

Ihre Analyse gipfelt in Sätzen wie diesen: “Wer die Erfolge der Rechten durch einen angeblich rechten Zeitgeist erklärt, liefert eine bequeme Erklärung, keine richtige. Denn er verwechselt Ursache und Wirkung…. (Denn Wähler geben. m.m.) deshalb der Rechten ihre Stimme…, weil sie sich von allen anderen politischen Kräften sozial im Stich gelassen und kulturell nicht mehr wertgeschätzt fühlen….Die rechten Parteien sind die neuen Arbeiterparteien.”

Diese Kernsätze sind eingebettet in eine umfassende Darstellung, warum es so gekommen ist.

Und dann kommen schonungslos die Wahrheiten, die keiner hören will.

Dazu gehören die Verelendungsreformen von Schröder und den Grünen unter dem Jubel der CDU und FDP.

Dazu gehören aber auch spiegelbildlich z.B. die Reformen von Bill Clinton, der dafür sorgte, daß niemand in den USA länger als 5 Jahre Sozialgelder erhält, so daß viele Millionen einfach ausgegrenzt und verelendet werden bis heute. Wer Trump´s Erfolge verstehen will, der darf die Demokraten nicht verniedlichen.

Umgekehrt schildert sie, wie die PIS in Polen gute Sozialpolitik für die kleinen Leute macht und “das größte Sozialprogramm der jüngeren polnischen Geschichte” umsetzte, obwohl sie sonst teilweise reaktionäre Positionen hat. So gewinnt man Wahlen…

Die Wirklichkeit zersetzt eben jede Ideologie…

Ich denke, ich habe das Buch nun genug vorgestellt und besprochen, um vielleicht neugierig zu machen und einzuordnen.

Wenn ich nur an die Betriebsrente denke, wird sehr deutlich, wie hier die kleinen Leute, die früher SPD gewählt haben, logischerweise sich politisch was anderes suchen: wer privat vorgesorgt hat von seinem Lohn, der wird zur Belohnung mit doppelten Sozialversicherungsbeiträgen belegt. Und das haben SPD und Grüne eingeführt ….

Umgekehrt erhält hier jeder Sozialleistungen ohne Leistung oder Gegenleistung, wenn er deutschen Boden betritt…

Diese Widersprüche sind mittlerweile ein Pulverfass geworden und Frau Wagenknecht versucht die Lunte zu löschen mit einem Programm, das klar die kleinen Leute fördert und die großen Leute fordert.

Wir werden sehen, wie es weitergeht, weil die medialen und realen Machtverhältnisse zur Zeit anders sind.

Aber ihre Analyse über den “Irrweg des Linksliberalismus” und der neuen Linken ist hervorragend.

Das Buch ist im Campus-Verlag erschienen.

ISBN 9783593513904

About Michael Mahlke

Der Autor hat Jura in Köln und Sozialwissenschaften, Geschichte und Pädagogik in Wuppertal studiert. Er war u.a. Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und ehrenamtlicher Richter. Er coachte viele Jahre Menschen, Schwerpunkte waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er arbeitete als Dokumentarfotograf und Publizist, offline und online, analog und digital.

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