Armutssafari von Darren McGarvey

“Ich habe versucht für Leute wie mich zu schreiben, die Schwierigkeiten mit dem Lesen haben; ich möchte sie einladen, ganz nach Belieben in die Texte ein- und wieder daraus aufzutauchen.”

Dieser Satz aus der Einleitung ist so bemerkenswert wie typisch für dieses interessante Buch.

Darren McGarvey ist ein Mensch mit politischem Bewusstsein und offenen Augen. Und er spürt wie viele Menschen, die denken und lesen gelernt haben und reflektieren können, dass die Armut erbarmungslos ausgrenzt und abgrenzt.

Menschen in Armut können vielleicht denken aber dürfen nichts tun, da wo Geld regiert und die Regeln bestimmt. Er erklärt aus eigenem Erleben warum die “Linken” versagen und wieso nicht alles schlecht ist.

Viele “medial verarbeitete” Ereignisse geben materiell armen Menschen das Gefühl, “dass man nicht mehr teilnehmen darf an der Unterhaltung über das eigene Leben.”

Er belegt dies reichhaltig.

Und er schildert wie aus dem guten Gedanken der Hilfe letztlich eine “Armutsindustrie” entstanden ist: “Erfolg bedeutet, dass genug Probleme erhalten bleiben, um die Karriere aller Beteiligten aufrechtzuerhalten und zu fördern. Erfolg ist nicht die Beseitigung der Armut”(140).

Das ist ja spiegelbildlich in Deutschland zu finden. Statt z.B. die Rentenkürzungen rückgängig zu machen und den Menschen wieder ihr verdientes Geld zu geben und Möglichkeiten zu schaffen, aus Hartz 4 zu kommen, werden Bürokratiemonster geschaffen, die die Betroffenen fressen.

Wenn Mcgarvey von Selbstachtung spricht, die man bei Armut aufbauen müsste, um den Mut zu erhöhen, nicht apathisch zu werden oder zu bleiben, ist die Wirklichkeit eher von Entwürdigung und Gängelei geprägt.

Das Buch ist auch deshalb anders, weil es das Buch von Mcgarvey ist. Denn er schreibt über seine eigene Familiengeschichte und ordnet diese in die sozialen und strukturellen Verhältnisse ein.

Dabei fällt die nüchterne Analyse auf: “Wir leugnen die objektive Wahrheit, dass die Leute ihre psychischen Probleme, körperlichen Krankheiten und Süchte nur überwinden, wenn sie, neben einer korrekten Unterstützung, auch akzeptieren, dass sie in gewisser Weise selbst schuld sind an den Entscheidungen, die sie treffen.”

Das Leben und die Antworten sind eben nicht schwarz oder weiß sondern bunt.

“Dass es zwischen den sozialen Klassen Ungleichheiten gibt, ist unbestreitbar.”

Diesen Satz auf Seite 189 finde ich so bemerkenswert, weil er soziale Tatsachen beschreibt, die in Deutschland eigentlich niemand mehr ausspricht.

Schon das Wort Klasse ist verpönt. Nun haben sich ja in Deutschland die aktiven politischen Parteien, die sich links wähnen, schon lange von all diesem verabschiedet.

Seitdem sie ihre Klientel verleugnen werden sie einstellig.

Aber Mcgarvey geht noch weiter und schreibt auch auf, was ich in deutschen Medien noch nie gehört habe.

“Großbritannien im Brexit bietet …. einen Blick darauf, was passiert, wenn die Leute sich der Tatsache bewusst werden, dass sie kein Teil der Entscheidungsprozesse sind, sondern über ihr Wahlrecht hinaus keine wirklichen Mechanismen zur Selbstbestimmung haben… Der Brexit zeigt, was passiert, wenn die Leute gegen ihre eigenen Interessen stimmen, weil sie nicht glauben, dass es irgendetwas ausmacht. Leute übrigens, die von Liberalen aus der Mittelklasse dann als Arschlöcher und Abschaum beschimpft werden”(201).

Und so sind wir mitten im Leben, aber wohl nicht nur in Großbritannien.

Mcgarvey schreibt auf Seite 215:”Es ist eine unbequeme Wahrheit der Armut und des Lebens im Allgemeinen: Der Überlebenskampf zwingt uns zur Selbstentwicklung.”

Damit beginnt ungefähr das letzte Drittel des Buches.

Es endet damit, dass er in dieser Gesellschaft lebt, akzeptiert, daß er sich geändert hat und versucht, ein Verhältnis von gelebter Zeit und Lebenszeit zu bekommen.

Das Ende des Buches ist friedlich, auch wenn er und wir in einer Welt ohne Frieden leben. Es geht eben nur über sich selbst.

Mcgarvey ist 1984 geboren. Ich bin gespannt, was er schreibt wenn er 50 wird.

Ich würde mich über eine Fortsetzung freuen.

Das Buch ist bei Luchterhand erschienen.

Darren McGarvey
ARMUTSSAFARI
Von der Wut der abgehängten Unterschicht

ISBN: 978-3-630-87612-2

About Michael Mahlke

Der Autor hat Jura in Köln und Sozialwissenschaften, Geschichte und Pädagogik in Wuppertal studiert. Er war u.a. Leiter einer privaten Wirtschaftsschule und Geschäftsführer einer sozialen Organisation und ehrenamtlicher Richter. Er coachte viele Jahre Menschen, Schwerpunkte waren Übergänge, Arbeit und Alter, Konfliktbewältigung und neue Medien. Er arbeitete als Dokumentarfotograf und Publizist, offline und online, analog und digital.

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