“Gedankengänge auf späten Wegen” ist der Untertitel dieses Buches.
Im Vorwort schreibt Albert von Schirnding, was er will: “Wie verbringt einer, der die Mitte der achtziger Jahre überschritten hat, seine Tage; welche Erinnerungen sind ihm wichtig, was bedeuten ihm noch Literatur und Musik, wie verhält er sich zu Äußerungen des herrschenden Zeitgeists?”
Das Buch ist für mich wie aus einer anderen Zeit. So stelle ich mir das sogenannte Bildungsbürgertum vor, das Zeit für Literatur und Musik hatte in einer Zeit, in der diese Art von Kultur noch soziale Relevanz hatte und wo das eigene Leben nicht vom Kampf um das tägliche Brot geprägt war.
Und so sind auch die Themen. Von Besuchen bei Ernst Jünger über viele Besuche bei Wagner Aufführungen bis zu sehr detailreichen Anmerkungen zu Musikstücken finden sich viele verschiedene Gedankengänge.
Man kann dieses Buch nicht in einem Satz zusammenfassen, weil es aus vielen lesenswerten Sätzen besteht. Natürlich sind diese nicht lebensnotwendig – dafür aber oft das Salz in der Suppe des Lebens.
Es ist Feuilleton vom Feinsten.
In der Notiz über die “Kastraten” schreibt Albert von Schirnding: “Das Ergebnis der Entmanntheit der Kastraten war nicht Geschlechtslosigkeit im Sinne von Neutralität (neu-trum = keins von beiden), sondern konnte als androgyne Doppelheit empfunden werden.”
Was für ein schöner Gedankengang!
Hier wird noch von zwei Geschlechtern ausgegangen oder eben vom Neutrum – keins von beiden.
Wenn man das mal in die aktuellen Debatten um die ausgedachten neuen Geschlechter reindenkt, merkt man erst wie geistreich hier formuliert worden ist.
Oder im Kapitel über die “Schüttelreime” das Verspaar “Den Toren packt die Reisewut, indes im Bett der Weise ruht.” Der Autor mag diesen Reim sehr und nicht nur er.
In der Notiz über “Pädagogischer Eros?” schreibt Albert von Schirnding: “Wir neigen dazu, vergangene Epochen dem Maßstab der jeweils herrschenden Überzeugungen zu unterwerfen. Das ist erstens ungerecht der Vergangenheit gegenüber und verkürzt zweitens unser Weltwissen, macht uns also ärmer. Weisheit verfährt anders….”
Abgesehen davon daß diese Erkenntnis sehr klug und klasse formuliert ist, höre ich hier auf, weil es sich lohnt, selbst weiterzulesen und zu entdecken, was denn nun Weisheit ist.
Ich habe versucht an drei Beispielen zu zeigen wie vielfältig und inspirierend Albert von Tschirnding diese “Gedankengänge auf späten Wegen” aufgebaut hat.
Es ist ein gutes Buch geworden für Menschen, die dafür empfänglich sind.
Mir hat es sehr gefallen.
Das Buch ist bei C.H.Beck erschienen.
ISBN 978-3-406-80840-1