“Um Risiken des Alterns für die Erwerbstätigkeit zu begrenzen, ist es insbesondere nötig, gesundheitlichem Verschleiß vorzubeugen, auch ältere Mitarbeiter in betrieblichen Wandel einzubeziehen sowie auch ältere Mitarbeiter an Weiterbildung zu beteiligen. Dies sind Aufgaben, die sich nicht nur – und vielleicht sogar nicht einmal in erster Linie – auf diejenigen beziehen, die heute zu der arbeitsmarktpolitischen Risikogruppe der 50-jährigen und älter gehört. Diese Aufgaben beziehen sich eher darauf, die Risiken von Altersprozessen zu mindern und setzen daher in jeder Altersstufe an.”
Dies ist eine Schlußfolgerung, die das Autorenteam um Gerhard Bäcker in dem sehr instruktiven Buch zur Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer zieht. Das Buch zeigt die Grenzen der Forschung und die Versäumnisse der Politik auf und beschreibt die sozialpolitischen Dinge, die wir lösen müssen, wenn diese Gesellschaft eine Zukunft haben soll.
Zunächst wird in diesem Forschungsbericht der Paradigmenwechsel in der deutschen Alterssicherungspolitik dargestellt. Dann erfolgt eine Untersuchung der Einflussfaktoren von Erwerbsaustritt und Renteneintritt. Danach werden die Arbeitsbedingungen von jüngeren und älteren Arbeitnehmern verglichen mit auffälligen Parallelen und es werden Projektionen zu Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt diskutiert.
Schon zu Beginn des Buches wird auf einen gern verschwiegenen Zusammenhang hingewiesen. “Es ist deutlich geworden, dass der Gesetzgeber durch die Festlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen nur den Renteneintritt direkt beeinflussen kann. Eine in diesem Zusammenhang häufig unterstellte Verlängerung der Erwerbsphase liegt dagegen außerhalb seines direkten Einflussbereiches. Zwar kann über die Schaffung entsprechender institutioneller Anreize bzw. Sanktionen der Verbleib älterer Arbeitnehmer im Betrieb indirekt beeinflusst werden. Die endgültige Entscheidung obliegt allerdings, zumindest in der Privatwirtschaft, den Betrieben.”
Damit sind natürlich im Ergebnis versicherungspflichtige Vollzeit- oder altersgerechte Teilzeitarbeitsplätze gemeint. Dieser Hinweis ist wichtig, weil die Politik sich durch die Anwendung der ILO Kriterien für Erwerbstätigkeit gerade damit brüstet, die Erwerbstätigkeit bei älteren Arbeitnehmern wesentlich erhöht zu haben.
Nach einer Darstellung der eingeführten politischen gesetzlichen Massnahmen, die auf eine Verlängerung der Erwerbsphase hinauslaufen (“Rente mit 67”) und einer wirklich hochinteressanten Schilderung der einzelnen Massnahmen der verschiedenen Veränderungen in der Rentenanpassungsformel, wird sehr deutlich, wie die Politik unter Zuhilfenahme sog. Gutachter die Senkung der Bruttorenten beschlossen hat.
Wenn dann im Forschungsbericht die bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter untersucht wird, kommt sehr schnell der Satz: “Es ist also entscheidend, nach wie vielen Jahren der Beitragszahlung die Renten die Grundsicherungsschwelle überschreiten. Das wiederum hängt von der Entgeltposition der Versicherten und vom Rentenniveau ab.”
Und genau da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Es folgt eine Darstellung der betrieblichen und der privaten Vorsorge und dann wird die nächste sozialpolitische Bombe gezündet. Es wurden im Rahmen des internationalen Forschungsprojektes “Private Pensions” die Rentenzahlbeträge aus staatlicher und betrieblicher Altersvorsorge für verschiedene Berufsbiographien simuliert. Ausgangsjahr war 1985 und Endjahr war 2050.
Das Ergebnis lautet nüchtern: “Im Ergebnis zeigte sich, dass unter ceteris-paribus-Annahmen nur drei der zehn Beispielbiographien im Jahre 2050 ein Gesamtversorgungsniveau im Alter erreichen, das über der Inklusionsgrenze liegt, “trotz vergleichsweise optimistischer Annahmen hinsichtlich des Lohnwachstums und der Kapitalverzinsung.”
Auf gut Deutsch müssen die meisten auch im Alter entweder die Grundsicherung beziehen oder sie liegen nur knapp darüber.
Und dann weisen die Autoren noch einmal mit der Überschrift “Die Lücke wird größer” auf das größte Problem hin: “Die Hauptschwäche der skizzierten Argumentation liegt vor allem in der Annahme, dass ältere Erwerbstätige durch die Heraufsetzung der Altersgrenzen auch tatsächlich länger im Erwerbsleben verbleiben (können)… Somit ist zu befürchten, dass durch die Anhebung der Regelaltersgrenze lediglich die Lücke zwischen Renteneintritt und Regelaltersgrenze zu finanziellen Ungunsten der Versichterten vergrößert und nicht die Lebensarbeitszeit verlängert wird.”
Auf der Grundlage der einzigen großen und relativ verläßlichen Befragung des BIBB/IAB von 1998/99 wird dann die Arbeitssituation älterer Arbeitnehmer untersucht. Eine wesentliche Schlussfolgerung dabei lautet: “Der untauglichen Strategie der kurativen Anschlussbeschäftigung sind Strategien der lang anhaltenden Beschäftigungsfähigkeit entgegenzusetzen … Strategien der lang anhaltenden Beschäftigungsfähigkeit haben zum Ziel, die Gesundheit zu erhalten, betrieblichen Wandel auf eine breite mitarbeiterorientierte Grundlage zu stellen sowie die Weiterbildung auch für Personen zu betreiben, die nur wenige Jahre vor dem altersbedingten Ausscheiden stehen.”
Nach einer Untersuchung der Altersteilzeit werden einige sehr nüchterne Feststellungen getroffen wie “Personalwirtschaftliche Maßnahmen für Ältere sind kaum verbreitet.” und “Der durchweg hohe Einfluss der Betriebsgröße läßt sich aber als Hinweis darauf deuten, dass jede Form altersspezifischer personalwirtschaftlicher Maßnahmen Ressourcen erfordert, über die kleine Betriebe nur selten verfügen. Gerade für die kleinen Betriebe dürfte damit die demographische Alterung zu einer Rahmenbedingung des Arbeitsmarktes werden.”
Was kann man tun? In Abgrenzung zu anderen Studien, die die Frage von Angebot und Nachfrage unterschiedlich thematisieren gehen die Autoren dieses Buches dann auf die Arbeitsmarktpolitik und die Umsetzung der Instrumente ein, um mehr ältere Arbeitnehmer in Beschäftigung zu bringen oder zu halten.
Dabei zeigte sich, dass es in sehr vielen Betrieben sehr wenig Wissen um die besonderen Förderungsmöglichkeiten älterer Arbeitnehmer gab und die Mitarbeiter der Arbeitsagenturen eher gering dazu beitrugen, ältere Arbeitnehmer in Beschäftigung zu bringen. Allein der Lohnkostenzuschuss war ebenso attraktiv wie mißbrauchsanfällig.
Übrigens spielte auch die erleichterte Einstellungsmöglichkeit älterer Arbeitnehmer durch die sachgrundlose Befristung ab 52 keine Rolle. Letztlich plädieren die Autoren dafür weg von altersneutralen Regelungen zu kommen und stattdessen eine “alterssensible” Arbeitsmarktpolitik zu betrieben.
Die Autoren diskutieren dann mögliche Wege in den Ruhestand über Altersteilzeit, Lebensarbeitszeitkonten bis zur Teilrente und stellen dabei letztlich immer wieder fest, dass es die Probleme nicht wirklich löst.
Zum guten Schluß werden offene Forschungsfragen thematisiert. Dazu gehört das fehlende Wissen um das tatsächliche betriebliche Handeln ebenso wie im Bereich der gesundheitlichen Beschäftigungsfähigkeit die Frage: “Die aktuellen Diskurse werden dominiert vom Topos der “fitten Alten” von heute. Aber gilt das in gleicher Weise für die Alten von morgen?… Wie ist z.B. der Gesundheitszustand der heute 45-jährigen im Vergleich zu dem Gesundheitszustand, den die heute 65-jährigen mit 45 Jahren aufwiesen?”
Das Buch, dieser Forschungsbericht, gibt eine sehr tiefe Zusammenschau wesentlicher Probleme unseres Sozialsystems und zeigt die ungelösten Widersprüche auf. Es lohnt sich, wenn man verstehen will, wo wir stehen und die Grenzen der Forschung ebenso sehen möchte.
Letztlich zeigt es in seiner nüchternen Art auch, was wir lösen müssen. Denn wenn wir es nicht lösen, zerfällt dieses System.
Es zeigt aber auch, dass wissenschaftliche Forschung nicht die Politik ersetzen kann, die Prioritäten setzt und Entscheidungen fällt.
Bäcker, Gerhard / Brussig, Martin / Jansen, Andreas / Knuth, Matthias / Nordhause-Janz, Jürgen
Ältere Arbeitnehmer
Erwerbstätigkeit und soziale Sicherheit im Alter
2009. 412 S. mit 92 Abb. u. 38 Tab. Br.
ISBN: 978-3-531-16930-9