Immer wieder sind gute Bücher weg. Nun ist dieses Buch wieder da.
Es ist erstaunlich, daß die Bücher von Autoren des Jahrgangs 1962 so selten eine Rolle spielen. Es sind oft genug große Würfe, die nicht genügend anerkannt werden. Dieses Buch ist ein großer Wurf. Es zeigt mit beispielhaften Zugängen, wie der Krieg in der Massenkultur bzw. Zivilisation heute überall partiell oder total eine Rolle spielt.
Das nachfolgende Foto zeigt teilweise das, was das Buch meint:
Es ist aus einem Bus der Stadtwerke Remscheid und lädt zu einer Sportlerehrung ein. Stadt, Stadtwerke und Stadtsparkasse sind die Sponsoren und wie selbstverständlich wird ein Motiv gewählt, das an kriegerischer Substanz kaum zu überbieten ist.
Oder sieht dies irgend jemand anders?
Bei Telepolis haben die beiden Autoren damals gesagt, worum es ihnen geht: “Andererseits behaupten wir durchaus, dass die Entwicklung der realen Kriege, die sowohl durch den Interventionismus der internationalen Staatengemeinschaft unter der Führung der USA als auch durch die Entstaatlichung der regionalen Konflikte unter dem Vorzeichen einer globalisierten Ökonomie charakterisiert sind, in einem Zusammenhang steht mit neoliberalen Normen der Konkurrenz und Performanz und deren Verarbeitung in der westlichen Massenkultur.
Eine These des Buches lautet daher sicherlich, dass die “neuen” Kriege und die “neuen” Ökonomien gleichermaßen auf dem Prinzip des Ausnahmezustands gründen, den sie auf Dauer stellen. Dieser Ausnahmezustand wird aber nicht nur militärisch und ökonomisch produziert, sondern vor allem auf dem Feld der Kultur und der ideologischen Anrufungen. Hier findet der Diskurs über “Ehekriege” und “Killerkids” statt, die offene oder indirekte Militarisierung der sozialen Verhältnisse. Nicht wir sind es, die den Krieg auf eine Metapher “reduzieren” – das erledigen Tag für Tag die Boulevardmedien, die Managementphilosophen, die Werbeagenturen usw.”
Sie sagten dies 2002 in der Hoch-Zeit der neoliberalen Ideologie mit den Hartz 4 Gesetzen, der Agenda 2010 und der Zerstörung des Sozialstaates. Die Folgen sind bekannt, um nur die Verarmung ganzer Bevölkerungsschichten, die Entwertung von Bildung, die Bankenkrise, unvorstellbare Anhäufung von neuem privatem Reichtum ohne staatliche Umverteilung, zerstörerische Online-Spiele und Egomanisierung durch social media zu nennen.
In diesem Zusammenhang ist die Frage aus dem Buch interessant, was sich fotografisch und journlistisch geändert hat?
“Man müsse der Außenwelt so oft wie möglich vor Augen führen, was hier geschieht, schreibt die Fotografin Ursula Meissner über ihren Einsatz in Sarajewo… Dass Meissner im Fall von Vietnam die investigativen Journalisten überhaupt nicht mehr erwähnt, sondern nur noch die Fotografen und die Kameraleute deutet auf eine wichtige Verschiebung hin. Denn die Bewunderung für die Arbeit des Aufdeckens … ist mittlerweile vollständig von einem Kult der Nähe ersetzt worden – einem Kult der Augenzeugenschaft und Evidenz.”
Mittlerweile hat sich auch das noch verändert. Aus Sicht der Kriegsreporter ist sie ebenso anders geworden wie aus Sicht der Mächtigen. Sie machen zunehmend auch Kriege ohne Bilder und die Medien lassen viele Fotos weg, die die grausame Wirklichkeit zeigen. Vielleicht auch, damit man noch hinschaut und nicht wegschaut. Das wiederum steht aber in einer langen Tradition.
Wenn man sich anschaut, wie das Buch “Entsichert” damals rezensiert wurde und sich dann die Situation von heute anschaut, merkt man, daß die Autoren Recht hatten. Aber das spielt keine Rolle, weil es gegen die Botschaften der Interessen in den Massenmedien ist. Bei uns darf man heute fast alles schreiben, aber wenn es nicht in der Medienkarawane landet sondern abseits dieses Weges, dann findet es fast keiner, weil auch google z.B. fast nur das zeigt, was die Medienkarawane zeigt.
Im Ergebnis ist dieses Buch bis heute ein großer Wurf, um Entwicklungstendenzen in Medien und in unserer Zeit darzustellen. Es taucht aktuell in vielen Ein-Euro-Läden und Bücherkisten auf und lohnt sich, weil der Preis niedrig und der Wert hoch ist.
Denn wir lernen, warum die medialen Darstellungen um uns herum so stark militarisiert sind.
Wir lernen hinzuschauen.
Und wenn wir genau hinschauen, dann sehen wir, daß sich die Welt seitdem weiterentwickelt hat. Es gibt durch neue Techniken neue Möglichkeiten, diese kriegerischen Elemente noch weiter, detaillierter und tiefer in die Köpfe zu stecken.
Genau dies passiert.
So liefert das Buch die Brille fürs Gehirn, um zu sehen, wie es weitergegangen ist. Das neoliberale gemeinschaftszerstörende Denken ist mittlerweile im letzten Winkel angekommen und die wenigsten können dies sehen und noch weniger können darauf reagieren.
One thought on “Entsichert. Krieg als Massenkultur im 21. Jahrhundert von Tom Holert und Mark Terkessidis”